[artinfo] Zeitgenossenschaft als Herausforderung
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Fri May 18 19:11:26 CEST 2007
BLIND DATE
ZEITGENOSSENSCHAFT ALS HERAUSFORDERUNG
Internationale Konferenz der GAK in Kooperation
mit dem Institut für Kunstwissenschaft und
Kunstpädagogik der Universität Bremen
24. - 28. Juni 2007
Die Sprachwissenschaft weist den "Zeitgenoss“
bereits in der Renaissance nach. Doch erst Anfang
des 19. Jahrhunderts wird er, wie auch der damals
aufkommende "Zeitgeist“, modisch. Ein Zeitgenosse
ist zunächst jemand, der zur gleichen Zeit wie
eine andere Person lebt. Wie bewegt man sich aber
auf der "Höhe der Zeit“? Lässt sich von einem
_nüchternen_ Blick auf die eigene Zeit überhaupt
sprechen oder bleibt dieser Blick späteren
Generationen in der Rückschau vorbehalten? Und
wird nicht auch deren Blick in die Geschichte von
ihrer eigenen Zeit geprägt sein?
Zeitgenossenschaft kann sowohl als produzierendes
wie als mitproduziertes Geschehen betrachtet
werden, an dem ganz unterschiedliche Akteure mehr
oder weniger aktiv und einflussreich beteiligt
sind.
Für die Kunst ist das Adjektiv "zeitgenössisch“
inzwischen ultimativ geworden: den einen
interessante Verheißung, den anderen
abschreckende Provokation. Aber das Genießen, das
sprachlich mitschwingt, will gelernt sein – auch
im alten Sinne von Nutznießen. Denn den
Abenteuern des Neuen überlässt man sich in der
Regel nicht ohne Vorsatz oder Lust am Wagnis. Die
Auseinandersetzung mit dem Zeitgenössischen ist
eine Herausforderung der unvorhersehbaren
Möglichkeiten mit offenem Ausgang: ein Blind Date.
Wie werden die Beteiligten des Kunstbetriebs von
den KünstlerInnen über die Vermittler zu den
KuratorInnen und KritikerInnen ihrer
Verantwortung gerecht? Wie machen sie die Kunst
ihrer Zeit gegenwärtig? Woran orientiert sich das
Arbeiten mit der "Voraussetzungslosigkeit“ der
meist kaum etablierten künstlerischen Positionen
in Kunstvereinen? Welche Ausstellungs-, Schreib-,
Sprech-, Diskurs- und Publikationsformen
versuchen ihre eigene Zeitgebundenheit zu
reflektieren und wie tun sie das? Die
internationale Konferenz befasst sich mit Fragen
aktueller künstlerischer Produktion, ihrer
Rezeption und Reflexion.
TERMINÜBERSICHT
Sonntag 24. Juni
14.30 Uhr Zeitgenossenschaft. Eine Idee und ihre
Folgen für die Kunst,Henning Ritter
16 Uhr Was ist zeitgenössische Kunst?, Holger Kube Ventura
18.30 Uhr Filmprogramm zeitgenössisch/museal, Kino 46
Montag, 25. Juni, 10–17 Uhr
Workshops für Studierende
Dienstag, 26. Juni
10 Uhr Filmgeschichte kuratieren, Birgit Kohler
11.30 Uhr Progressiver Traditionalismus, Vanessa Joan Müller
14 Uhr Strategien für eine unstete Zukunft, Chus Martinez
15.30 Uhr Film „Conceptual Paradise“, Stefan Römer
Mittwoch, 27. Juni
10 Uhr Zur Konstruktion zeitgenössischer Vielstimmigkeit, Stefan Römer
11.30 Uhr Ausstellungen und ihre Pädagogiken, Dorothee Richter
14.00 Uhr Zeitgenössische Kunstvermittlung auf der documenta 12, Carmen Mörsch
15.30 Uhr Re-Performances: Da Capo oder Zugabe?, Mechtild Widrich
Donnerstag, 28. Juni
10 Uhr Transformation von Kunst in Forschung, Kathrin Busch
11.30 Uhr Die Geister im Jetzt und im Außerhalb, Hans-Christian Dany
14 Uhr Jenseits der Kanonisierung?, Georg Schöllhammer
15.30 Uhr The Living Newspaper, Clémentine Deliss
19 Uhr Glamour und Hegemonie, Robert Pfaller
DIE TEILNAHME FÜR STUDIERENDE IST FREI. ANMELDUNG
ERWÜNSCHT: Tel. +49 421 500 897
EINTRITT
Euro 3.- \ Ermäßigt 2.- \ Mitglieder frei
PROGRAMM (Änderungen vorbehalten)
AUFTAKT
Sonntag, 24. Juni
14.30 Uhr
ZEITGENOSSENSCHAFT. EINE IDEE UND IHRE FOLGEN FÜR DIE KUNST
Henning Ritter, Wissenschaftsjournalist, Frankfurt am Main
Von „zeitgenössischer Kunst" ist erst seit dem
Beginn des 19. Jahrhunderts die Rede. Um 1830
wird der Imperativ Il faut être de son temps"
für die Gegenwartskunst verbindlich. Die
entscheidende Voraussetzung dafür war das
Bewusstsein eines Traditionsbruchs:
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Künste
waren im ausgehenden 18. Jahrhundert
grundsätzlich umgeschichtet worden. Der Vortrag
zeichnet diesen Prozess der Herausbildung eines
expliziten Gegenwartsbewusstseins in den Künsten
nach.
16.00 Uhr
WAS IST ZEITGENÖSSISCHE KUNST
Holger Kube Ventura, Kunstwissenschaftler, Halle
Das Fach Kunstgeschichte benennt als
„zeitgenössische Kunst" nicht weniger als die
gesamte Kunstproduktion ab den 1960ern. Um dieses
weite Feld zu verkleinern, könnte man die
Bezeichnung auch nur auf jene Kunst anwenden, die
eben in der Gegenwart entsteht – aber wann ist
etwas gegenwärtig? Je mehr man sich mit heutigen
(wieder so ein Wort) Kulturformen beschäftigt,
desto schneller – so scheint es – entwickeln sie
sich. Vielleicht sollte man deshalb lieber nur
solche Kunst „zeitgenössisch“ nennen, die
(unabhängig von ihrem Herstellungsdatum und ihren
historischen Referenzen) einen adäquaten Ausdruck
der Gegenwart darstellt? Der Vortrag untersucht,
wer aus welchen Motiven was als adäquaten
(Kunst-)Ausdruck von Gegenwart behaupten kann.
18.30 Uhr (Kino 46)
FILMPROGRAMM
ZEITGENÖSSISCH/MUSEAL
house-birmingham, GB 2005, Wolfgang Weileder, Video, 9:42 min
De l’autre coté, (Von der anderen Seite), F 2002,
Regie: Chantal Akerman, Video-Projektion, 99 min. OmengU
Die „andere Seite“ ist das Niemandsland zwischen
Mexiko und Arizona, wo unzählige Menschen
versuchen, über die Grenze in die USA zu
immigrieren. Akerman zeigt in dem Film, der als
Installation auf der vergangenen documenta zu
sehen war, diese Situation bewusst aus der
mexikanischen Perspektive.
Einführung: Birgit Kohler
Kino 46, Waller Heerstraße 46, 28217 Bremen, Tel.: +49 421/38767-31
Workshops (GAK, Kino 46 und Stadtraum)
Montag, 25. Juni, 10–17 Uhr
Praxisseminare für Studierende mit Ulf Aminde,
Berlin, Birgit Kohler, Berlin, und Wolfgang
Weileder, Newcastle
SCHEINWERFER.FORMATE UND INSTITUTIONEN
Dienstag, 26. Juni
10 Uhr
FILMGESCHICHTE KURATIEREN
Birgit Kohler, Filmwissenschaftlerin, Berlin
Die Idee des Zeitgenössischen stellt sich im
Zusammenhang mit Kinematheken nicht zwangsläufig
ein – haben diese doch gemeinhin einen
historischen Fokus. Das Programm des Kinos
Arsenal in Berlin hingegen, wie auch das
ebenfalls von den Freunden der Deutschen
Kinemathek e.V. betriebene Festival (Forum der
Berlinale) sowie der hauseigene Verleih, widmen
sich der Filmgeschichte und den aktuellen
Entwicklungen des Mediums bzw. den damit
verbundenen zeitgenössischen Diskursen
gleichermaßen. Dies ist Ausdruck eines
kuratorischen Konzepts, das Zeitgenossenschaft
mit Geschichte, Historisches mit Aktuellem in
vielfältiger Weise zusammendenkt und
Filmgeschichte als Projekt der Gegenwart
begreift. In Zeiten, in denen Film nicht mehr nur
im Kino und auf dem Fernsehbildschirm erfahrbar
ist, stellt sich zunehmend die Frage, wie Kino
sich im Kontext der Bild- und Medienkultur des
21. Jahrhunderts neu positionieren kann.
11.30 Uhr
PROGRESSIVER TRADITIONALISMUS
Vanessa Joan Müller, Direktorin des Kunstvereins
für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf
Kunstvereine sind traditionsreiche Institutionen
mit Blick für die Gegenwart. In der bürgerlichen
Gesellschaft verankert, stehen sie für aktuelle
künstlerische Praxis, für Diskurs und Experiment.
Der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen
in Düsseldorf präsentiert sein Programm in einem
spätmodernistischen Bau, der als
architektonischer wie ideologischer
Resonanzkörper figuriert: Raum gewordenes
Versprechen einer Zukunft, die bereits
Vergangenheit ist, aber auch Vision einer
Beziehung von Kunst und Gesellschaft, die noch
immer auf ihre Realisierung wartet.
14 Uhr
STRATEGIEN FÜR EINE UNSTETE ZUKUNFT. ÜBER EINIGE
ARBEITSMETHODEN RUND UM DIE IDEE DES
PRODUZIERENS, AUSSTELLENS UND DISKUTIERENS
ZEITGENÖSSISCHER KUNST
Chus Martinez, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, Frankfurt am Main
Eine der größten derzeitigen Herausforderungen
ist es, innerhalb einer Kunstinstitution – und
dies betrifft vor allem Kunstvereine –
verschiedene „Arbeitsgeschwindigkeiten“ zu
erzeugen. Wie zeigt, entwickelt, reaktiviert und
kommuniziert man über zeitgenössische
Kunstproduktion? Der Frankfurter Kunstverein hat
versucht, sich diesen Fragen vor allem durch zwei
so genannte „Plattformen“ zu stellen: Das Forum
„Speaking of Others“, das zusätzlich zum
Ausstellungsprogramm einen Anlaufpunkt für
innovative Kulturinitiativen und Ideengeber in
Frankfurt bietet und die Idee eines heterogenen
Think Tanks verfolgt, sowie das kürzlich
eröffnete „Deutsche Börse Residency Program“ für
Künstler, Kuratoren und Kulturproduzenten.
15.30 Uhr
CONCEPTUAL PARADISE. THERE IS A PLACE FOR SOPHISTICATION
Film, 110 min, Stefan Römer, 2006
Der Filmessay zeichnet Diskussionen nach, die die
„Conceptual art“ in den 1960er Jahren entstehen
ließen und heute noch relevante Fragestellungen
der zeitgenössischen Kunst aufwarfen. In einer
dreijährigen filmischen Recherche interviewte
Römer mehr als 40 KünstlerInnen und
TheoretikerInnen. Erstere sprechen über eigene
künstlerische Praktiken und die soziohistorische
Entwicklung der unterschiedlichen konzeptuellen
Bewegungen. Dabei wird deutlich, dass es keine
allein gültige Definition von Konzeptkunst geben
kann, da die permanente Auseinandersetzung mit
ihr auch ihre kunsttheoretische und
philosophische Komplexität ausmacht. In den
Diskussionen werden Fiktion und Idealität einer
Kunst als politische Auseinandersetzung lebendig.
Die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte der
Kämpfe um Repräsentationsstrategien.
AUGENZEUGEN. PUBLIKUM UND REZEPTION
Mittwoch, 27. Juni
10 Uhr
ZUR KONSTRUKTION ZEITGENÖSSISCHER
VIELSTIMMIGKEIT. DIE INTERVIEWFORM IM
DOKUMENTARFILM „CONCEPTUAL PARADISE"
Stefan Römer, Künstler und Theoretiker, Akademie der Bildenden Künste, München
Voraussetzung für meinen Dokumentarfilm
„Conceptual Paradise“ war die Beobachtung, dass
sich nach den 1990er Jahren in der
zeitgenössischen Kunst viele visuelle oder die
Präsentation betreffende Bezüge auf die
Conceptual Art finden. Signifikant schien mir,
dass die wenigsten KünstlerInnen damit jedoch
selbst generierte philosophische Reflexionen oder
kunst- und erkenntniskritische Statements
verbanden. Gleichzeitig schienen die Diskussionen
um die Conceptual Art in Pressemitteilungen
nachzuhallen, in denen der Begriff „konzeptuell“
als Wertproduzent herbeizitiert wurde, anstatt
eine Aktualisierung konzeptueller Fragen
anzustreben. Vor diesem Hintergrund entwarf ich
Kernfragen, mit denen ich die
InterviewpartnerInnen in eine an analytischen
Begriffen orientierte Diskussion verwickle, die
durch den Filmschnitt entsteht. Eine historische
Darstellung der Konzeptkunst war nicht mein
primäres Interesse, sollte aber als Seiteneffekt
mitbedacht werden. Im zeitgenössischsten aller
Medien ermöglicht mir der Essayfilm, mit diesem
komplexen Thema das Publikum anzusprechen. Der
Film ist künstlerische Praxis als Theorie.
11.30 Uhr
AUSSTELLUNGEN UND IHRE PÄDAGOGIKEN
Dorothee Richter, Institut Cultural Studies,
Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich
Ausstellungen sind kommunikative, ideologische
Situationen im Sinne Roland Barthes, die
hergestellt werden, um entlang von Artefakten und
deren Anordnung intentional Inhalte zu
transportieren. Aus meiner Perspektive sind diese
„Botschaften“ nicht getrennt von politischen
Haltungen und Interessen zu denken. Im Sinne von
Althussers Definition ideologischer
Staatsapparate rufen kulturelle Anordnungen
Subjekte an und bringen sie durch
Identifikationsprozesse und -prozeduren in einer
Art Spiegelsituation laufend mit hervor. Es macht
daher einen Unterschied, ob ein Setting Zuschauer
in eine passive Haltung der Subordination bringt,
oder diese als infantile Wesen der Unterhaltung
anspricht, sie in einem emotionalen Register
erreicht oder sie in Diskurse involviert,
Informationen zugänglich macht, Sehgewohnheiten
und Denkweisen stört und die Artikulation der
BesucherInnen fördert. Daher ist der
Vermittlungsaspekt in Ausstellungen zentral und
nicht nachgeordnet.
14.00 Uhr
ZEITGENÖSSISCHE KUNSTVERMITTLUNG AUF DER DOKUMENTA 12
Carmen Mörsch, Kulturwissenschaftlerin, Oldenburg
Von Juni bis September 2007 findet in Kassel die
12. documenta statt, die als „eine der
bedeutendsten und weltweit am meisten beachteten
Ausstellungen zeitgenössischer Kunst“ gilt. Eines
der drei Leitmotive, die die künstlerische
Leitung im Vorfeld der Ausstellung als
Diskussionsanlass lancierte, ist die Frage nach
dem Verhältnis von Bildung und Kunst in der
Gegenwart. Daher spielt Kunstvermittlung zum
ersten Mal eine zentrale Rolle im Rahmen dieses
Ereignisses. In meinem Beitrag stelle ich die
Frage, was Zeitgenossenschaft in Bezug auf
Kunstvermittlung heißen könnte. In der Folge
werde ich versuchen zu beschreiben, was die
Leute, die auf der documenta 12 in die
Kunstvermittlung verwickelt sind, bis zum
Zeitpunkt der Tagung aus der Herausforderung,
zeitgenössische Zugänge zur Kunstvermittlung zu
entwickeln, gemacht haben.
15.30 Uhr
RE-PERFORMANCES: DA CAPO ODER ZUGABE?
Mechtild Widrich, Kunsthistorikerin, Boston
Das zeitgenössische Phänomen der Re-Performances
pointiert Fragen nach der Rolle des Publikums wie
auch der Historisierung. Marina Abramovics „Seven
Easy Pieces" (2005) agieren zeitverschoben:
Abramovic, selbst Zeitgenössin der ersten
Generation von Performancekunst, interpretiert
z.B. Valie Exports „Genitalpanik“ (1969) auf der
Grundlage der jahrelangen Rezeptionsgeschichte
mittels Fotografien, Beschreibungen, Mythen und
Forschungsarbeiten. In welchem Ausmaß muss die
Historisierung selbst als Konstituierung eines
neuen Publikums gesehen werden und inwieweit muss
das einmalige Publikumserlebnis – die zentrale
Idee von Performancekunst – als obsolet
betrachtet werden?
REFLEKTOR. WISSENSCHAFT UND KRITIK
Donnerstag, 28. Juni
10 Uhr
TRANSFORMATION VON KUNST IN FORSCHUNG
Kathrin Busch, Philosophin, Hamburg
Eine der derzeitigen Provokationen der Kunst
besteht in ihrer Grenzüberschreitung hin zur
Theorie. Die zeitgenössische Kunstpraxis zeichnet
sich vielfach dadurch aus, in so hohem Maße von
theoretischem Wissen gesättigt zu sein, dass sie
selbst zu einer forschenden Praxis gerät.
Künstler übernehmen nicht nur Aufgaben der
Kunstkritik und -vermittlung, sie beziehen
Recherche-Methoden und wissenschaftliche
Erkenntnisse in ihre künstlerischen Verfahren mit
ein, so dass sich die Kunst zu einer
eigenständigen Wissensform herausbildet.
Verstärkt wird diese Tendenz durch die aktuellen
Umstrukturierungen der Akademien, die auf eine
zunehmende Einbindung von theoretischen
Kenntnissen in die Kunstausbildung und die
Etablierung so genannter Artistic
Research-Projekte zielen. Unsaubere Grenzverläufe
zwischen Theorie und künstlerischer Praxis sind
die Folge.
11.30 Uhr
DIE GEISTER IM JETZT UND AUSSERHALB
Hans-Christian Dany, Künstler und Publizist, Hamburg
Wie sehe ich mit nüchternem Blick eine Gegenwart
an, die ständig trunken an ihrer eigenen
Geschäftigkeit zu sein scheint und dabei alles
und jedes, also auch mich, in diesen Rausch mit
hineinzieht. Das ständig nachgefüllte Glas
zurückweisen und mich abwenden? Würde ich mit der
Gegenwart nicht mehr am Tisch sitzen und trinken,
wenn ich nicht müsste? Aber ich tue es immer
wieder, weil sie meine Rechnungen bezahlt oder es
mir zumindest verspricht, solange ich an ihren
Geschäften teilhabe. Sicher denke ich tausendmal,
ich sei ein Objekt ihrer allgegenwärtigen
Imperative. Dabei bin ich aber oft rasend gern in
ihren Klauen, weil wenn ich mich ihrer erwehre
und entfleuche, oder es mir zumindest einbilde,
eine unerträgliche Leere in mir aufkommt, ich das
Nichts außerhalb von ihrem Jetzt bin. Als
Zeitgenosse genieße ich also vielleicht, eine
wenn auch leere Zeit bei gleichzeitigem Verlust
der Leere. Reizvoll wäre eine Bewegung, in der
beide Geister zu haben wären, der der Zeit, die
sie Jetzt nennen, und der außerhalb von ihr.
14 Uhr
JENSEITS DER KANONISIERUNG? D12 MAGAZINES
Georg Schöllhammer, Herausgeber springerin, Wien
Wie erlangt die documenta Kenntnis von
spezifischem Wissen auf der Welt? Und wie kann
sie dieses Wissen vermitteln? Von diesen Fragen
ausgehend erprobt die documenta 12 eine mögliche
Herangehensweise der Vernetzung lokaler Szenen
durch das internationale Publikationsprojekt der
„d12 magazines“: Rund neunzig Kunst-, Kultur- und
Theoriepublikationen unterschiedlicher Formate,
Reichweiten und inhaltlicher Schwerpunktsetzung
aus allen Kontinenten wurden als Partner
eingeladen, gemeinsam über Motive und Themen
nachzudenken, welche uns bei der Arbeit am
Projekt documenta 12 beschäftigen. Sie haben
unsere Fragen zu den ihren gemacht, sie in ihren
Redaktionen diskutiert, sie an AutorInnen und
KünstlerInnen weitergegeben.
15.30 Uhr
THE LIVING NEWSPAPER: METRONOME
Clémentine Deliss, Kuratorin, Herausgeberin und Future Academy, Paris/Edinburgh
Das Zeitschriftenprojekt „Metronome“ ist seit
1996 bislang elf Mal erschienen und hat dafür in
verschiedenen Städten der Welt, u.a. Dakar,
London, Berlin, Basel, Kopenhagen, Oslo,
Stockholm, Frankfurt, Wien und Tokio, geforscht.
Als kritische Alternative zum konventionellen
Kunstjournalismus agiert „Metronome“ wie der
Prolog einer Ausstellung, bringt neue Arbeiten
und Diskussionen zwischen Künstlern hervor und
provoziert so Kurzschlüsse verschiedener
internationaler Kunstszenen. „Metronome“ ist im
Doppelsinn einem Organ vergleichbar, weil es
aktiv, fruchtbar und anfällig ist. Man kann nie
vorhersagen, wie die Produktionsbedingungen für
ein neues „Metronome“ aussehen werden: Die
Konstellationen ergeben sich ohne Druck. Fast
alle Ausgaben beziehen sich bislang auf einen
Vorläufer, der früher eine bestimmte Energie oder
Erscheinung von KünstlerInnen oder
Intellektuellen zum Ausdruck brachte.
19 Uhr
GLAMOUR UND HEGEMONIE. ODER. WIEVIEL GENOSSENSCHAFT VERDIENT EINE ZEIT?
Robert Pfaller, Philosoph, Wien/Linz
Das Zauberkunststück, mit dem eine Zeit ihren
Geist erscheinen lässt, heißt Glamour. Wenn es
gelingt, dann sieht man ihren Geist und kann sich
reflektierend (zeitgenössisch) oder kritisch
(unzeitgemäß) auf ihn beziehen. Allerdings
gelingt das Kunststück offenbar nicht immer.
Manche Zeiten haben bestenfalls im Nachhinein,
für nostalgische andere Zeiten, Glamour; andere
dagegen haben ihn sofort und für sich selbst.
Wenn nun einmal durch Mangel an Glamour keine
herrschenden Ideen sichtbar werden, so kann
jedoch auch dies durchaus einer Idee der
Herrschenden entsprechen. Auch ohne eine
spezielle Idee zum allgemeinen Zeitgeist zu
machen, kann man nämlich erreichen, dass Leute
anfangen, ihre eigene Unterdrückung zu bejahen
und sogar (nach den Worten Spinozas) „für sie zu
kämpfen, als wäre sie ein Glück“. Dieses
Zauberkunststück allerdings verdient nähere
Betrachtung.
INFORMATION
GAK GESELLSCHAFT FÜR AKTUELLE KUNST E.V. BREMEN
www.gak-bremen.de
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