[artinfo] TOTALISM?
Luis Fernández Pons
lfernapo8 at hotmail.com
Wed Sep 13 14:12:03 CEST 2006
TOTALISM?
As part of the programme of the visual arts festival “Berliner Kunstherbst
2006”, eight contemporary artists do research into the social and political
totalitarian structures of our everyday in: TOTALISM? INSIDE ODER OUTSIDE
TOTAL
At Galerie Neurotitan, in Haus Schwarzenberg e.V. (Berlin-Mitte).
Curators: Sandra Becker 01 and Yvonne Paul.
Artists:
Sandra Becker 01
Luis Fernández Pons
Peter Kees
Beate Klompmaker
Jasmina Llobet
Andrea Loux
Yvonne Paul
Gertrud Schrader
A catalogue will be edited with kindly support of the “Mitteln der
dezentralen Kulturarbeit des Kulturamtes Berlin-Mitte.”
Duration of the exhibition: 15th of September – 6th of October 2006
Opening: 15th of September, 20:00
Where:
Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg e.V.
Rosenthalerstraße 39
10178 Berlin
Tel: +49.(0)30.308 725 76
Opening time: Mo. – Sa. von 12.00 – 20.00 Uhr
More information: http://www.neurotitan.de/
>>Text in German:++++++++++++++++++++++++++++
shop & galerie im haus schwarzenberg
rosenthaler straße 39 / 10178 berlin
mo - sa : 12 - 20 uhr
NEUROTITAN zeigt:
TOTALISM? INSIDE ODER OUTSIDE TOTAL
Kuratiert von Sandra Becker 01 und Yvonne Paul
Mit Arbeiten von:
Sandra Becker 01
Luis Fernández Pons
Peter Kees
Beate Klompmaker
Jasmina Llobet
Andrea Loux
Yvonne Paul
Gertrud Schrader
Ausstellung vom 15. September bis 6. Oktober 2006
Eröffnung am Freitag, 15. September um 20 Uhr
Acht zeitgenössische Künstler/Innen befragen während des Berliner
Kunstherbstes 2006 die aktuelle Situation in der Bundesrepublik Deutschland
nach totalitären Tendenzen. Das Haus Schwarzenberg bietet einen passenden
historischen Rahmen für diese Ausstellung – die ältere und jüngste
Geschichte des Viertels bildet sich hier nicht nur ab, sondern wird in einem
lebendigen Zusammenhang erfahrbar: die Vertreibung und Ausrottung der
europäischen Juden durch das NS-Regime zwischen 1933 und 1945; die Teilung
und Wiedervereinigung Deutschlands.
In der Ausstellung werden allerdings weniger politische Systeme nach
totalitären Strukturen untersucht; ausgehend von der Beobachtung, dass sich
derzeit auch auf allen Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens immer
stärker Strukturen etablieren, die totalitäre Züge aufweisen, befragen wir
unseren ganz normalen Alltag mit künstlerischen Mitteln nach: TOTALISM?
Beate Klompmaker widmet sich den 1-€uro-Jobs, mit denen Langzeitarbeitslose
eigentlich in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden sollen, was
allerdings nur selten gelingt. Ihre signalrote „1-€-Job-Tüten“ zeigen die
Absurdität und menschenverachtende Wirkung der 1-€uro-Jobs: Sie sind
durchnummeriert, multifunktional, jederzeit verfügbar, flexibel an jedem Ort
einsetzbar und ALLE sehen gleich aus - Eigenschaften, die nicht nur von
„1-€uro-Jobbern“ verlangt werden. Dabei bleiben die 1-€uro-Jobber
arbeitslos, tauchen aber nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auf. Das
Problem wird dadurch gelöst, das man die Arbeitslosen „verschwinden“ lässt.
Die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg durch Arbeitslosigkeit
thematisieren auch Jasmina Llobet und Luis Fernández. So setzt sich die
Videoinstallation „small talk“ ironisch mit den Seminaren und Coachings zur
Optimierung der eigenen Persönlichkeit auseinander. Mit neongelben
Plakatwänden schaffen die beiden spanischen Künstler einen ungemütlichen,
kalten Rahmen für ihr „small talk“-Seminar – während eine harmlos aussehende
Comicfigur das unpersönliche Videotraining moderiert.
Der interaktive Terminal „PSÜV (Psychisch-Sozialer-Überwachungsverein) - der
TÜV für den Menschen“ von Peter Kees spielt mit unserer freiwilligen(?)
Bereitschaft, sich einer entfesselten Wirtschaft mit ihren Forderungen nach
Konsumorientierung, Eigenverantwortung, Effizienz und Kontrolle
unterzuordnen. Der „PSÜV“ fordert den Menschen dazu auf, es der Maschine
gleichzutun und sich auf seine Gesellschaftsfähigkeit checken zu lassen:
„Für eine saubere und sichere Gesellschaft!“
Das Verflixte in der Sache liegt darin, das es NIEMANDEN gelingen kann, sich
in ein perfektes menschliches Geschöpf zu verwandeln; wir ALLE scheitern
also permanent. An dieser Stelle sammeln auch Sekten bzw. so genannte
„konfliktträchtige Gruppen“ ihre Mitglieder ein: Sie versprechen ihren
Anhängern die Entwicklung der eigenen Individualität zu einer höheren,
gottgleichen Daseinsform, wenn sich der Einzelne freiwillig einem „höheren
Wesen“ (Führer, Guru, Coach
) unterordnet, das die Verantwortung für ihn
übernimmt. Einen der Tricks, mit denen ein „Guru“ seine Anhänger
manipuliert, zeigt die Fotoinstallation „Interview“ von Sandra Becker 01.
Als „Coach“ behauptet er, er könne an den sich symmetrisch verschönenden
Gesichtszügen des Aspiranten sehen, wann dieser seine innere Wahrheit
gefunden hätte: Diesen „idealen“ Zustand kann selbstverständlich nur der
Coach erkennen, und der Aspirant wird zu einem Eingeweihten, wenn er ihm
glaubt und bedingungslos vertraut. Eingesogen in eine hermetisch
abgedichtete Welt, gibt es für diese Menschen nur noch die totale
Zugehörigkeit (innen) oder die totale Feindschaft (außen). Eine Vermittlung
zwischen „Außen“ und „Innen“ ist nicht mehr möglich, denn das Motto lautet:
INSIDE-ODER-OUTSIDE-TOTAL.
Auch die Neuen Kommunikationstechnologien bieten ihren Nutzern die
Möglichkeit, sich selbst zu verlieren und aufgehen zu können in einem
allmächtigen Superprojekt. Die irritierende Selbstverständlichkeit, mit der
sich jeder Internetnutzer an ihm völlig unbekannte Kontrollinstanzen
ausliefert, thematisiert die Installation „ID-Metrie“ von Yvonne Paul. Die
Haare der Künstlerin sind in durchsichtigen CD-Hüllen fixiert. Die sensiblen
biometrischen Daten sind nicht mehr vor unbefugten Blicken geschützt,
sondern im Gegenteil den Blicken aller Betrachter preisgeben. Der
Datenschutz und die Wahrung der Intimsphäre sind hier nicht mehr möglich.
Die Installation „Orientierungen“ von Gertrud Schrader zeigt den Versuch
einer zeichnerischen Aneignung visualisierter Daten aus dem Inneren des
menschlichen Körpers. Hier wird das Eigenleben der digitalisierten Körper
aus dem medizinischen Bereich vorgeführt, die nicht mehr deckungsgleich sind
mit den realen, menschlichen Körpern. Dank der errechneten Bilder der
bildgebenden Untersuchungsverfahren (Ultraschall, CT) hat die moderne
Medizin den realen menschlichen Körper gegen einen „utopischen“, idealen,
perfekten Körper ausgetauscht, der berechenbar und berechnet ist – die
Verwirklichung des Neuen Menschen!
Die kleinste Keimzelle des INSIDE ODER OUTSIDE TOTAL zeigt Andrea Loux’
Videoinstallation „Roulette (vor und zurück)“: Die Kleinfamilie. Die
Schweizer Künstlerin führt die Mutter-Vater-Kind-Einheit als Urform der
hermetischen, geschlossenen Systeme vor. Hier werden die Techniken der
manipulativen Interaktionen, der absoluten Machtspiele, des gnadenlosen
Konkurrenzkampfes entwickelt und trainiert. Anscheinend fällt es uns schwer,
diese Muster zu durchbrechen und unsere Welt NICHT danach zu gestalten. Es
ist erstaunlich, dass wir uns selbst Strukturen und Situationen schaffen,
die totalitäre Züge aufweisen, obwohl die durch Hannah Arendt vermittelte
Erkenntnis auch heute noch richtig ist:
„(
) Für [Hannah Arendt] gilt nicht der alte Satz: So musste es kommen. Die
Konstruktionen der Sinnzusammenhänge, die zu Kausalitäten in der Geschichte
werden oder werden können; sind nicht als schlechthin zwingend gemeint. Denn
erkannt, sind sie revidierbar. Es liegt am Menschen und nicht an einem
dunklen Verhängnis, was aus ihm wird. (
)“
(Auszug aus Karl Jaspers Geleitwort von 1955 zu Hannah Arendt: Elemente und
Ursprünge totaler Herrschaft – Antisemitismus, Imperialismus, totale
Herrschaft; S. 12, Piper Verlag, 1986 München)
Sandra Becker 01 und Yvonne Paul
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